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Hochschule Nordhausen
Kreativer als der Mensch? KI im Praxistest an der Hochschule Nordhausen
Kreativer als der Mensch? KI im Praxistest an der Hochschule Nordhausen
Geschätzte Lesezeit: 5 MinutenVeröffentlicht am: 3. April 2025
von Thomas Herwig (Lab Operations Manager hike) & Prof. Dr. Lutz Göcke (Professur Digitales Management)
Kann generative KI bessere Ideen entwickeln als Menschen? Ein Experiment an der Hochschule Nordhausen zeigt, wie gut KI-Modelle wie Gemini 2.0 tatsächlich in der kreativen Ideenfindung sind.
Die rasante Entwicklung generativer künstlicher Intelligenz (gen KI) eröffnet zahlreiche neue Anwendungsmöglichkeiten in Innovationsprozessen. Insbesondere in der sogenannten Ideation-Phase, also der kreativen Ideenfindung, gewinnen KI-basierte Methoden zunehmend an Bedeutung. Generative KI beschreibt dabei Systeme, die mittels großer Sprachmodelle (Large Language Models – LLMs) eigenständig und auf Basis umfangreicher Trainingsdaten kreative Inhalte produzieren können. LLMs, wie beispielsweise ChatGPT, Claude oder Gemini, sind durch ihre Fähigkeit zur eigenständigen Textgenerierung in der Lage, innovative Vorschläge zu generieren und damit menschliche Innovationsprozesse maßgeblich zu unterstützen oder sogar zu ersetzen.
Die Relevanz dieser Technologien im Kontext von Entrepreneurship und Innovation ist enorm, da sie potenziell zu einer signifikanten Effizienz- und Qualitätssteigerung bei der Ideenentwicklung beitragen können. Durch den Einsatz von KI-Modellen lassen sich nicht nur Ideen in großer Zahl und Geschwindigkeit generieren, sondern es können möglicherweise auch neue Perspektiven eröffnet werden, die ohne Unterstützung durch KI nicht unmittelbar sichtbar wären. Vor diesem Hintergrund stellt sich zunehmend die Frage, ob und inwiefern generative KI mit menschlichen Kreativleistungen konkurrieren oder diese sogar übertreffen kann.
Vor diesem Hintergrund führte die Hochschule Nordhausen, im Rahmen des hochschuleigenen Inkubators für Entrepreneurship („hike“), ein Experiment durch, um konkret der Forschungsfrage nachzugehen, welche Kombination aus Large Language Models (LLMs) und Ideation-Methoden (Intuitive vs. Systematische Ideation) die qualitativ hochwertigsten Ideen generiert.
Der aktuelle Forschungsstand unterstreicht bereits erste Potenziale von KI-unterstützten Innovationsprozessen. So zeigt etwa eine Studie von Bouschery et al. (2023), dass die Integration generativer KI in menschliche Innovationsteams zu einer Verbesserung der kreativen Prozesse und Ergebnisse führen kann. Innerhalb des vorliegenden Experimentes wurden spezifisch die Methoden „Brainwriting“ – eine intuitive, auf schnellem, assoziativen Denken basierende Ideengenerierung – sowie „Analogien“ – ein systematischer Ansatz, bei dem Ähnlichkeiten mit Konzepten aus anderen Kontexten (z.B. der Biologie) genutzt werden – untersucht.
Im vorliegenden Experiment wurde ein strukturierter Forschungsansatz gewählt, um die Qualität von KI-generierten Ideen mit menschlich erzeugten Ideen in der kreativen Ideenfindung zu vergleichen. Als Methoden kamen zwei unterschiedliche Ideation-Verfahren zum Einsatz: das intuitive „Brainwriting“, bei dem spontan Ideen generiert werden, sowie das systematische Verfahren der „Analogien“, bei dem Ideen durch Parallelen zu anderen Kontexten entwickelt werden.
Die Datenerhebung erfolgte über insgesamt fünf generative KI-Modelle (Claude 3.5, Gemini 2.0, ChatGPT o3, Qwen 2.5 und DeepSeek), die jeweils anhand einer definierten „How Might We“-Frage zur studentischen Beteiligung an der Hochschule Nordhausen Ideen generierten. Zusätzlich wurden zwei menschlich erzeugte Ideen aus einem Brainwriting-Workshop der Hochschule aufgenommen.
Die Bewertung der generierten Ideen wurde anonym durch eine Stichprobe von 45 Studierenden der Hochschule Nordhausen vorgenommen. Dabei wurde eine standardisierte 5-Punkte-Likert-Skala verwendet, um die Ideen hinsichtlich Neuartigkeit, Machbarkeit, Attraktivität und Klarheit zu beurteilen. Die Studierenden erhielten keine Information darüber, ob eine Idee von Menschen oder von KI-Modellen erzeugt wurde, um Verzerrungen in der Bewertung zu vermeiden.
Im Experiment zeigte sich, dass die von generativer KI erzeugten Ideen insgesamt deutlich positiver bewertet wurden als jene, die menschlichen Ursprungs waren. Insbesondere die Idee eines sogenannten „Student Voice Hubs“, entwickelt durch das KI-Modell Gemini 2.0 Flash mithilfe der Brainwriting-Methode, erreichte die höchste Gesamtbewertung. Dieses Konzept schlägt eine physische und digitale Plattform vor, auf der studentische Beiträge zur Hochschulentwicklung öffentlich sichtbar gemacht und gewürdigt werden. Die überzeugende Bewertung dieser Idee (Mittelwert: 3,92 von 5 Punkten) ergab sich aus ihrer hohen Attraktivität, Machbarkeit und klaren Präsentation, womit sie sämtliche Konkurrenzideen – sowohl KI-generierte als auch menschliche – übertraf.
Im Vergleich der Ideation-Methoden schnitt die intuitive Methode des Brainwriting insgesamt besser ab als die systematische Nutzung von Analogien. Während analogiebasierte Ideen zwar eine hohe Neuartigkeit aufwiesen, wurden diese in Bezug auf Klarheit und Machbarkeit schlechter bewertet. Dagegen zeigten sich die Brainwriting-Ideen umsetzbarer und klarer in ihrer Ausgestaltung, was die Bedeutung der Wahl einer passenden Ideation-Methode hervorhebt.
Bemerkenswert ist zudem die Beobachtung, dass keiner der teilnehmenden Studierenden die Quelle der Ideen – also KI oder Mensch – korrekt identifizieren konnte. Diese Tatsache unterstreicht die Qualität der KI-generierten Vorschläge und weist auf ihr Potenzial hin, menschliche Kreativleistungen zu ergänzen oder sogar zu übertreffen.
Die gewonnenen Ergebnisse sind von besonderer Relevanz für die Hochschule Nordhausen und insbesondere für den hochschuleigenen Inkubator für Entrepreneurship (hike). So verdeutlichen sie das hohe Potenzial, generative KI systematisch in Innovationsprozesse einzubinden, um sowohl die Qualität als auch die Vielfalt neuer Ideen zu steigern. Für den Hochschulinkubator bedeutet dies, dass KI-basierte Methoden zukünftig stärker in Workshops und Lehrveranstaltungen integriert werden könnten, um die kreative Kompetenz von Studierenden gezielt zu fördern.
Im Hinblick auf die Lehre bietet sich der Hochschule Nordhausen durch den gezielten Einsatz von generativen KI-Tools die Möglichkeit, den Studierenden praxisnahe Kompetenzen im Umgang mit KI zu vermitteln, was zugleich die Innovationsfähigkeit und Wettbewerbsfähigkeit der Absolventinnen und Absolventen erhöhen dürfte. Die Erkenntnisse könnten direkt in bestehende oder neue Lehrformate, beispielsweise im Rahmen von Entrepreneurship-Kursen oder Design-Thinking-Workshops des hike, integriert werden.
Auch die Transferleistung ist beträchtlich: Durch die Integration der Forschungsergebnisse in den Hochschulalltag lassen sich bestehende Prozesse der Ideengenerierung und Innovationsentwicklung optimieren. Der systematische Einsatz von KI kann nicht nur zur Entwicklung neuer Initiativen und Angebote führen, sondern auch bestehende Gründungsprojekte verbessern. Langfristig eröffnet sich dadurch die Möglichkeit, die Hochschule Nordhausen noch stärker als innovativen Standort zu profilieren, an dem KI-gestützte Gründungsförderung und Entrepreneurship eine zentrale Rolle spielen.
Die Ergebnisse des Experiments an der Hochschule Nordhausen verdeutlichen eindrucksvoll, dass generative KI ein wertvolles Instrument zur Unterstützung menschlicher Kreativität sein kann. Insbesondere die hohe Qualität und Akzeptanz der KI-generierten Ideen zeigt, dass Large Language Models (LLMs) wie Gemini 2.0 in der Lage sind, kreative Prozesse effizient und wirkungsvoll zu ergänzen. Eine zentrale Erkenntnis der Studie ist, dass die Kombination von generativer KI mit intuitiven Methoden wie Brainwriting besonders vielversprechende Resultate liefert.
Aus diesen Erkenntnissen ergibt sich für die Praxis die klare Empfehlung, generative KI-Tools verstärkt in den Hochschulalltag einzubinden. Die Hochschule Nordhausen könnte insbesondere im Rahmen des Hochschulinkubators hike KI-gestützte Brainwriting-Verfahren etablieren, um Studierende gezielt in kreativen und unternehmerischen Fähigkeiten zu schulen. Der Einbezug generativer KI in Lehrveranstaltungen und Workshops würde Studierenden nicht nur moderne digitale Kompetenzen vermitteln, sondern auch innovative Lösungsansätze für reale Herausforderungen fördern.
Dennoch ergeben sich aus den Ergebnissen weitere offene Forschungsfragen. Vor allem bleibt zu untersuchen, welche langfristigen Auswirkungen KI-generierte Ideen auf deren praktische Umsetzung sowie die tatsächliche Innovationsleistung an Hochschulen haben. Künftige Forschungsprojekte sollten daher den Fokus auf die Umsetzung und Evaluierung von KI-gestützten Ideen in der Praxis legen.
Für die zukünftige Entwicklung der Hochschule Nordhausen bieten diese Ergebnisse wertvolle Orientierung: Durch eine gezielte strategische Einbindung von KI könnte das hike und die Hochschule insgesamt ihre Position als innovativer Standort weiter ausbauen. Die Hochschule könnte mit Hilfe von KI-Lösungen auch gesellschaftliche Herausforderungen wie geringe Beteiligung in Entscheidungsprozessen, Innovationshemmnisse oder Nachhaltigkeitsthemen wirksamer adressieren und sich somit nachhaltig als Vorreiter im Bereich KI-basierter Innovation profilieren.
Referenzen
Bouschery, S. G., Blazevic, V., & Piller, F. T. (2023). Augmenting human innovation teams with artificial intelligence: Exploring transformer-based language models. Journal of Product Innovation Management, 40(2), 139-153.
Link zur originalen Auswertung des Experimentes:
https://cloud.hs-nordhausen.de/s/3GmcaoCbzDCewa5
Prof. Dr. Lutz Göcke (Link der Person) Fachbereich: FB Wirtschafts- und Sozialwissenschaften Studienbereich: Betriebswirtschaftslehre Professur oder Lehrgebiet: Allgemeine BWL, insbesondere Digitales Management Forschungsgebiete: Fragestellungen des Corporate Entrepreneurship Geschäftsmodellinnovation Digitales Produktmangement und Digitale Transformation Institut oder Einrichtung: DICH | Institut für Digitalisierung, Innovation und Change Projekte: Einführung Studiengang Digitales Produktmanagement zum WS 2020 / 2021 Initiator und Projektleiter des HIKE (Hochschulinkubator für Entrepreneurship) zur systematischen Förderung von Gründungsideen an Hochschulen. Fördervolumen 1,8 Mio. € durch das Bundesministerium für Bildung und Forchung (BMBF) Forschung zum Einfluss der Unternehmenskultur auf Geschäftsmodellinnovationen in Kooperation mit der New Work SE (ehem. XING SE) Internationales Herausgeberwerk zu Digital Entrepreneurship beim Springer Verlag
Thomas Herwig (Link der Person) Aufgabengebiete hike: Strategie und Netzwerkmanagement, Event- und Workshopkonzipierung, HIKEathon Lead, gen KI im Gründungsprozessen
Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Hochschulinkubator für Entrepreneurship Nordhausen (hike) & im Rahmen von Q-net-Q. Spezialisiert auf Design Thinking Prozesse mit Unterstützung von generativer KI, sowie der Einsatz von generativer KI im Gründungsprozess und zur Gründungsunterstützung.
Thomas Herwig
Prof. Dr. Lutz Göcke