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Warum scheitern so viele innovative Produkte?

Warum scheitern so viele innovative Produkte?

Geschätzte Lesezeit: 4 Minuten

Veröffentlicht am: 28. July 2023


Das Thema des Scheiterns neuer Produkte ist sowohl für Wissenschaftlerinnen und Wissenchaftler als auch für Unternehmerinnen und Unternehmer von großem Interesse. Professor Dr. Jan A. Millemann geht in seiner Publikation „Winning the Gamble of Successfully Launching Brilliant New Products“ genau dieser Frage nach. In diesem Blogbeitrag werfen wir einen Blick auf die Schlüsselerkenntnisse seiner Forschung und was sie für die Praxis bedeuten.

Ein komplexes Problem: Produktinnovativität

Die bestehende Literatur suggeriert, dass ein inkrementelles Innovationsniveau für erfolgreiche Markteinführungen entscheidend ist. Jedoch geht Prof. Dr. Millemann einen Schritt weiter und postuliert, dass Produktinnovationen nicht einfach in die Kategorien „inkrementell“ oder „disruptiv“ unterteilt werden können. Er führt zwei weitere Dimensionen ein: funktionale und verhaltensbezogene Innovativität. Diese Nuancen, so argumentiert er, beeinflussen die Akzeptanz durch Verbraucherinnen und Verbraucher auf unterschiedliche Weise.

  • Funktionale Innovativität bezieht sich auf die Neuheit der technischen Merkmale eines Produkts, wie sie von Verbraucherinnen und Verbrauchern wahrgenommen werden.
  • Verhaltensbezogene Innovativität beschreibt den Grad des physischen und mentalen Aufwands, denVerbraucherinnen und Verbrauchern als notwendig erachtet, um das Produkt zu nutzen.

Neurowissenschaftliche Erkenntnisse: Wie unser Gehirn Innovationen wahrnimmt

Um die Auswirkungen dieser beiden Dimensionen zu verstehen, führten Dr. Millemann und sein Team ein funktionelles Magnetresonanztomographie(fMRI)-Experiment durch, um zu untersuchen, wie unterschiedliche Innovationsdimensionen im Gehirn verarbeitet werden. Die fMRI-Studie wurde mit dem Ziel durchgeführt, die zugrundeliegenden kognitiven Mechanismen und neuronalen Aktivierungsmuster bei der Wahrnehmung von Produktinnovationen zu untersuchen. 44 Personen wurden für die Studie rekrutiert. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer wurden sorgfältig ausgewählt, um eine repräsentative Stichprobe der allgemeinen Bevölkerung zu gewährleisten. Alters-, Geschlechts- und Einkommensverteilung wurden berücksichtigt, um Verzerrungen zu vermeiden. Den Teilnehmenden wurde erklärt, dass sie verschiedene Produktbilder sehen und ihre Gedanken dazu äußern sollten. Während der fMRI-Scans wurden den Teilnehmerinnen und Teilnehmern Bilder von innovativen Produkten präsentiert. Diese Produkte unterschieden sich in ihrem Innovationsgrad sowohl in funktionaler als auch in verhaltensbezogener Hinsicht. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer mussten die Produkte visuell betrachten, während ihre neuronalen Reaktionen aufgezeichnet wurden. Die Präsentation der Produkte erfolgte in randomisierter Reihenfolge, um systematische Fehler zu vermeiden. Die fMRI-Scans erfassten die Hirnaktivität der Teilnehmerinnen und Teilnehmer in Echtzeit. Spezielle Software wurde verwendet, um die neuronalen Aktivierungsmuster zu analysieren. Die Daten wurden dahingehend untersucht, welche Hirnregionen bei der Wahrnehmung von funktionaler und verhaltensbezogener Innovativität aktiviert wurden. Funktionale Innovativität löste Aktivierungen in Hirnregionen aus, die mit semantischem Gedächtnis und visueller Wahrnehmung verbunden sind, während verhaltensbezogene Innovativität Regionen aktivierte, die mit der Vorstellung von Handlungen und subjektivem Empfinden in Verbindung stehen. Die Ergebnisse zeigen, dass sich die Wahrnehmung von funktionaler und verhaltensbezogener Innovativität in verschiedenen neuronalen Reaktionen widerspiegelt. Funktionale Innovativität, die sich auf die Neuartigkeit der Produkteigenschaften bezieht, löste Aktivierungen in Gehirnregionen aus, die für das Abrufen semantischer Erinnerungen und visuelle Wahrnehmung zuständig sind. Verhaltensbezogene Innovativität, die den physischen und mentalen Aufwand zur Nutzung des Produkts umfasst, aktivierte hingegen Bereiche, die mit der Vorstellung von Handlungen und dem subjektiven Empfinden verbunden sind

Praktische Anwendungen: Online-Umfragen und A/B-Tests

Eine der zentralen Erkenntnisse der Studie ist, dass verhaltensbezogene Innovativität die Akzeptanz neuer Produkte negativ beeinflusst. Produkte, die als schwierig oder aufwendig in der Handhabung wahrgenommen werden, stoßen auf Widerstand bei den Verbraucherinnen und Verbrauchern. So führte das Team neben dem fMRI-Experiment auch Online-Umfragen und A/B-Tests auf Facebook durch. Eine repräsentative Stichprobe von 59 Panelisten  wurde für die Online-Umfrage ausgewählt. Den Teilnehmerinnen und Teilnehmern wurden elf verschiedene Computermäuse gezeigt, die sich in ihrem Innovationsgrad unterschieden. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer mussten jede Maus hinsichtlich ihrer funktionalen und verhaltensbezogenen Innovativität bewerten und ihre Bereitschaft zur Adoption des Produkts angeben. Die Umfragen wurden so gestaltet, dass die Teilnehmerinnen und Teilnehmer ihre Eindrücke und Bewertungen einfach und intuitiv mitteilen konnten. Die A/B-Tests wurden durchgeführt, um die Online-Umfrageergebnisse in einem realen Umfeld zu validieren. Dieselben elf Computermäuse wurden in verschiedenen Facebook-Werbekampagnen präsentiert. Jede Kampagne testete unterschiedliche Versionen der Anzeigen, die entweder die funktionale oder verhaltensbezogene Innovativität der Produkte hervorhoben. Die Anzeigen wurden randomisiert an verschiedene Zielgruppen ausgespielt, um eine breite und diverse Teilnehmeendenbasis zu erreichen. Die Hauptkennzahl war die Click-Through-Rate (CTR), also die Anzahl der Klicks auf die Anzeigen im Verhältnis zu den Gesamtansichten. Diese Rate gibt Aufschluss darüber, wie ansprechend die Teilnehmenden die beworbenen Produkte fanden. Die Klick- und Interaktionsdaten der Facebook-Kampagnen wurden gesammelt und analysiert. Die Ergebnisse waren konsistent: Produkte mit höherer verhaltensbezogener Innovativität wurden weniger wahrscheinlich angenommen, während funktionale Innovativität die Akzeptanz nicht signifikant beeinflusste.

Visualisierungsstrategien im Marketing

In weiteren Untersuchungen zeigte Dr. Millemann auf, wie wichtig die richtige Marketingstrategie für den Erfolg eines neuen Produkts ist. Er untersuchte die Wirksamkeit verschiedener Visualisierungsansätze und fand heraus, dass kontrastfokussierte Visualisierungen – die Unterschiede zwischen aktuellen und zukünftigen Nutzungserfahrungen hervorheben – die Akzeptanz signifikant steigern. Im Gegensatz dazu hatten fantasievolle oder erinnerungsfokussierte Visualisierungen keinen signifikanten Einfluss auf die Adoptionsbereitschaft:

  • Gedächtnisfokussierte Visualisierung: Hierbei erinnern sich die Konsumentinnen und Komsumeten an frühere Erfahrungen mit dem Produkt.
  • Vorstellungsfokussierte Visualisierung: Diese Strategie fordert die Konsumentinnen und Komsumenten auf, sich neue, bisher nicht gemachte Erfahrungen mit dem Produkt vorzustellen.
  • Kontrastfokussierte Visualisierung: Diese Methode aktiviert Problemlösungsmechanismen, indem sie Assoziationen zwischen zukünftigen und aktuellen mentalen Repräsentationen schafft.

Die Forschung ergab, dass kontrastfokussierte Visualisierung die höchsten Adoptionsraten für innovative Produkte erzielte.

Strategische Empfehlungen für Managerinnen und Manager

Auf Grundlage dieser Erkenntnisse können Managerinnen und Manager besser antizipieren, wie Verbraucherinnen und Verbraucher neue Produkte wahrnehmen. Basierend auf seinen Forschungsergebnissen gibt Dr. Millemann konkrete Empfehlungen. Um die Akzeptanz neuer Produkte zu erhöhen, sollten Marketingstrategien auf funktionale Innovativität setzen und verhaltensbezogene Innovativität minimieren. Produkte, die als verhaltensbezogen innovativ wahrgenommen werden, könnten durch kontrastfokussierte Visualisierungen besser vermarktet werden, um die wahrgenommenen Hürden zu reduzieren und die Akzeptanz zu erhöhen.

Hier gehts zur vollständigen Publikation: https://dailydatabytes.nl/wp-content/uploads/2020/09/MOA_Topic2020.pdf



Autor

  • Sandra Nioduschewski

    Sandra Nioduschewski

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    Prof. Dr. Jan Andre Millemann