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Hochschule Nordhausen
Wie XR und Biosignale Ressourcen schonen und Konsumenten besser verstehen helfen
Wie XR und Biosignale Ressourcen schonen und Konsumenten besser verstehen helfen
Geschätzte Lesezeit: 4 MinutenVeröffentlicht am: 9. September 2025
Was haben faltbare Tastaturen, ergonomische Computermäuse und neue Schokoladensorten gemeinsam? Nahezu alle (neuen) Produkte gehen durch verschiede Stufen im Produktinnovationsprozess bevor wir Tastaturen, Mäuse und Schokolade in Onlineshops, Elektronik- oder Supermärkten kaufen können. Beginnend mit der Ideengenerierung und der Entwicklung von Prototypen der besten Ideen, müssen die Prototypen anschließend auf die Wahrnehmung und das Gefallen von potenziellen Konsumenten und Konsumentinnen getestet werden. Trotz diesem strukturierten Prozess und guten Bewertungen von den Testpersonen ist erkennbar, dass schätzungsweise 40% bis 80% aller Produktinnovationen nach der Einführung auf dem Markt scheitern. Um das hohe Risiko eines Flops zur vermindern, beschäftigt sich das durch die Carl-Zeiss-Stiftung geförderte Projekt „Digitalisierung in der Neuproduktentwicklung: Einsatz von Embedded Systems zur nachhaltigen Produktion“ (DiNEP) mit dem Einsatz von XR und Biosignalen im Produktinnovationsprozess.
Was ist XR und was kann mit XR gemacht werden?
Zur Produktion von Prototypen im klassischen Innovationsprozess müssen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen geschult sowie Maschinen umgerüstet werden. Was ist denn, wenn den Testpersonen die Form des Prototyps einer innovativen Computermaus nicht gefällt? Produzierte Prototypen müssen fachgerecht entsorgt und neue Prototypen aufwendig hergestellt werden. Dies hat zur Folge, dass bereits vor der Produkteinführung viele Ressourcen – wie Geld, Personen und Zeit – verwendet werden. Um den Innovationsprozess in diesem Schritt effektiver und effizienter zu gestalten, gibt es digitale Möglichkeiten, die die Darstellung von realen Produkten als digitale Abbildung erlauben. Virtuelle Realität (engl. Virtual Reality (VR)) und erweiterte Realität (engl. Augmented Reality (AR)) werden unter dem Oberbegriff XR verortet und beschreiben technische Möglichkeiten, die im Fall von VR die reale Umwelt durch virtuelle Inhalte vollständig ersetzt oder die Realität durch virtuelle Inhalte erweitert (AR). Wohingegen die digitalen Prototypen mithilfe von VR in Supermärkten dargestellt werden können, erlaubt AR die Einbindung der Realität und die Testperson kann mit den Prototypen im realen Umfeld interagieren. Vorteilhaft an dieser Vorgehensweise sind einerseits die computergestützte Darstellung, weil einzelne Merkmale der Prototypen systematisch verändert werden können und andererseits können alltagsnahe Simulationen in virtuellen Supermärkten durchgeführt werden. Die Einbindung dieser Technologien sorgt dafür, dass die Testpersonen sich weniger langweilen. Aufkommende Langeweile kann zu fehlerhaften Angaben in der Bewertung führen, was zu fehlerhaften Daten und Prognosen führt. Um besserer Prognosen zu erzielen, verwendet das Team um Prof. Dr. Millemann neben Fragebögen auch Biosignale, um unbewusste Körperreaktionen zu messen.
Was sind Biosignale und können die Forscherinnen und Forscher sehen, wenn eine Testperson lügt, oder warum sollen Biosignale gemessen werden?
Stellen Sie sich vor, Sie befinden sich kurz vor einer wichtigen Präsentation oder einem entscheidenden Meeting. Die letzten zwei Minuten vor Beginn sind besonders intensiv. Wie reagiert Ihr Körper in dieser Situation? Vielleicht bemerken Sie ein leichtes Schwitzen auf den Handflächen, Ihr Herz schlägt schneller, und Sie spüren eine subtile Spannung in Ihrem Körper. All diese Veränderungen sind Ausdruck sogenannter Biosignale – messbare physikalische oder chemische Signale, die von Ihrem Körper produziert werden. Sie sind das Ergebnis unbewusster physiologischer Prozesse, die darauf abzielen, das innere Gleichgewicht des Körpers, die sogenannte Homöostase, zu wahren.
Doch was genau können Forschende aus diesen Signalen ablesen? Erkennt das Forschungsteam anhand der Signale, wenn eine Testperson lügt? Keine Sorge! Dies funktioniert nicht so einfach. Die Körpersignale, wie Schweißabsonderung, Puls, Herzschlag und Hauttemperatur, liefern zwar wertvolle Informationen über den Zustand eines Menschen, aber sie sind nicht direkt mit der Wahrheit oder Unwahrheit einer Aussage verknüpft. Stattdessen werden sie als zusätzliche Datenquelle verwendet, um subjektive Angaben, etwa aus Fragebögen, zu ergänzen und deren Aussagekraft zu erweitern.
Der eigentliche Wert der Biosignale liegt in ihrer Fähigkeit, Emotionen, Stresslevel oder Aufmerksamkeit zu messen, ohne dass die Testpersonen ihre inneren Zustände bewusst mitteilen müssen. Aktuelle Forschungen kombinieren diese Signale zunehmend mit modernen Technologien wie Machine Learning, um Muster und Zusammenhänge zu identifizieren, die menschlichem Auge oder Verstand verborgen bleiben könnten. Aktuelle Studien fanden beispielsweise heraus, dass durch die Kombination von Biosignalen und Machine Learning, das Konsumentenverhalten im Bereich der Kommunikationspolitik (Werbung) vorhergesagt werden kann (Marques et al., 2025). Insbesondere Gesichtsmuskulatur und Elektrodermale Aktivität (Schweiß) gelten als wichtige Indikatoren zur Vorhersage. DiNEP nutzt neben diesen beiden Biosignalen auch die Messung von Puls und Hauttemperatur, um einen diverseren Datensatz zu erzielen.
Implikationen für Unternehmen und Produktmanagerinnen und Produktmanager
3. Risikoreduzierung
Schlussfolgerungen
Hinter jedem neuen Produkt stehen umfangreiche Ressourcen, zahlreiche Iterationen und unzählige Stunden an Arbeit, bevor es schließlich den Weg in unsere Hände findet. Von der ersten Idee über die Produktentwicklung bis hin zur Markteinführung durchläuft jedes Produkt eine Vielzahl von Anpassungen, die auf Kundenfeedback, Marktforschung und internen Tests basieren. Dabei werden nicht nur Zeit und finanzielle Mittel investiert, sondern auch ökologische Ressourcen beansprucht – ein Faktor, der angesichts wachsender Umweltbedenken immer kritischer betrachtet wird. Mit dem Projekt DiNEP soll erforscht werden, ob XR und Biosignale den Produktinnovationsprozess revolutionieren können. Die Integration von Biosignalen eröffnet eine völlig neue Dimension im Verständnis des Konsumentenverhaltens. Statt sich allein auf subjektive Umfragen oder Fokusgruppen zu verlassen, können durch die Analyse physiologischer Reaktionen tiefere Einsichten gewonnen werden. Wie reagieren Menschen emotional auf ein Produkt? Welche Designs oder Funktionen lösen unbewusste Begeisterung oder Ablehnung aus? Solche Erkenntnisse könnten die Grundlage für präzisere und ressourcenschonendere Entscheidungen in der Produktentwicklung bilden.
Marques, J. A. L., Neto, A. C., Silva, S. C., & Bigne, E. (2025). Predicting consumer ad preferences: Leveraging a machine learning approach for EDA and FEA neurophysiological metrics. Psychology & Marketing, 42(1), 175–192. https://doi.org/10.1002/mar.22118