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Hochschule Nordhausen


Effektives Kommunales Krisenmanagement von Flüchtlingen im ländlichen Raum: Herausforderungen und Handlungsempfehlungen

Effektives Kommunales Krisenmanagement von Flüchtlingen im ländlichen Raum: Herausforderungen und Handlungsempfehlungen

Geschätzte Lesezeit: 4 Minuten

Veröffentlicht am: 13. November 2024


von Valeria Rademeier (Betreuer: Prof. Dr. Elmar Hinz)

im Rahmen einer Masterarbeit zur Erlangung des akademischen Grades Master of Arts.

Einleitung

In einer Zeit, die von globaler Vernetzung und technologischem Wandel geprägt ist, ist das Management von Krisensituationen zu einer zentralen Aufgabe der öffentlichen Verwaltung geworden. Insbesondere humanitäre Krisen wie die EU-Flüchtlingskrise 2015/16 und der Russland-Ukraine-Krieg seit 2022 haben die Dringlichkeit eines effektiven Krisenmanagements hervorgehoben. Kommunen, insbesondere in ländlichen Regionen, stehen vor einzigartigen Herausforderungen, wenn es darum geht, angemessen auf die Massenankunft und die Bedürfnisse von Geflüchteten zu reagieren. Im Rahmen der Masterarbeit „Kommunales Krisenmanagement von Flüchtlingen im ländlichen Raum: Bewältigung humanitärer Krisen durch interdisziplinärer Zusammenarbeit“ wurde die Fragestellung untersucht, wie ein effektives kommunales Krisenmanagement von Flüchtlingen im ländlichen Raum Deutschlands erfolgreich umgesetzt werden kann.

Hintergrund und Kontext

Das Krisenmanagement ist von entscheidender Bedeutung, um die Folgen von humanitären Krisen zu mildern und die Sicherheit sowie das Wohlergehen der Bevölkerung zu gewährleisten. Aufgrund begrenzter Ressourcen, mangelnder Infrastruktur und geringerer Bevölkerungsdichte, stehen vor allem Kommunen in ländlichen Regionen vor der Herausforderung, adäquat auf Massenbewegungen reagieren zu müssen. Die Bewältigung von Flüchtlingsströmen erfordert eine interdisziplinäre Herangehensweise und eine enge Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Akteuren und Akteurinnen.

Methodik

In der Arbeit wurden unterschiedliche Theorien, Modelle und Herangehensweisen aus den Verwaltungs- und Sozialwissenschaften sowie aus dem Katastrophen- und Krisenmanagement berücksichtigt. So zum Beispiel dient das „production model of performance“ von Van Dorren, Bouckaert und Halligen (2010) und der Krisenmanagementzyklus des Bundesamts für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) als theoretischer Rahmen der Arbeit. Darüber hinaus basieren die Ergebnisse auf einer umfassenden Literaturanalyse sowie leitfadengestützten Experten-Interviews mit Personen eines Verwaltungskrisenstabes (VwS) eines Landkreises in Sachsen-Anhalt. Durch die dokumentarische Analyse nach Bohnsack (2009, 2013) wurden Erkenntnisse über die Herausforderungen und Potenziale des kommunalen Krisenmanagements gewonnen.

Ergebnisse und Schlussfolgerung

Die Analyse ermöglichte die Identifikation von sechs Schlüsselkomponenten für ein effektives kommunales Krisenmanagement in ländlichen Regionen (siehe Poster):

  • Organisationsprozesse
  • Kommunikation und Informationen
  • Soziale Beziehungen und Netzwerke
  • Regionale Gegebenheiten und lokale Verwurzelungen
  • Lern- und Entwicklungsfaktoren
  • Flexibilität

Diese Komponenten bilden die Grundlage für eine erfolgreiche Bewältigung von Krisensituationen und die Entwicklung entsprechender Handlungsempfehlungen. In Zeiten von Krisen ist das Wissen über die Verfügbarkeit von Ressourcen entscheidend für die Handlungsfähigkeit einer Kommune. Zu den relevanten Ressourcen zählen beispielsweise Immobilien, die als Unterkünfte dienen können, und verfügbare Sachmittel, wie z. B. Möbel, Bekleidung und andere Hilfsgüter, aber auch verwaltungsinterne und externe Kompetenzen. Interne Kompetenzen umfassen etwa die Krisenkoordination und rechtliche Expertise, während externe Kompetenzen regionale Fachkräfte wie Handwerker*innen, Wohlfahrtsverbände und medizinisches Personal beinhaltet. Des Weiteren konnte festgestellt werden, dass die lokale Verwurzelung der Krisenstabsmitglieder*innen sich als hilfreich erwiesen hat, da sie das Wissen über und den Zugang zu vorhandenen Ressourcen erleichtert. Allerdings ist diese Verwurzelung keine zwingende Voraussetzung, um erfolgreich auf Krisen reagieren zu können. Daraus lässt sich die Empfehlung ableiten, einen Ressourcen-Check durchzuführen und eine Datenbank anzulegen, um die Verfügbarkeiten von Ressourcen zu erfassen (regionale Gegebenheiten und lokale Verwurzelung).

Des Weiteren konnte festgestellt werden, dass mit der Stärkung des Ehrenamts und die Pflege sozialer Beziehungen ein zusätzliches Netzwerk aufgebaut werden kann, das in Krisenzeiten als wertvoller Ressourcenpool dient. Die Mobilisierung dieses Netzwerks – bestehend aus ehrenamtlichen Helfern und Helferinnen, lokalen Organisationen und Unternehmen – ermöglicht es (ebenfalls), schnell auf benötigte Ressourcen zuzugreifen. Daher ist eine frühzeitige Investition in die Netzwerkarbeit und deren Pflege von großer Bedeutung. Sie gewährleistet nicht nur eine kontinuierliche Unterstützung und den Zugang zu Ressourcen, sondern auch den Austausch von Expertenwissen, das in der Krisenbewältigung entscheidend sein kann (Soziale Beziehungen und Netzwerke).

Für eine erfolgreiche Krisenbewältigung sind koordinierte Aktivitäten und eine flexible, interdisziplinäre Arbeitsweise unerlässlich. Hierfür ist die Schaffung klarer Strukturen innerhalb des Krisenstabs, die die Verteilung von Verantwortlichkeiten und die Festlegung von Entscheidungswegen regeln elementar. Bei der Besetzung eines Stabs sollte darauf geachtet werden, dass verschiedenen Fachkräfte eingebunden werden. Dies fördert eine breitere Perspektive und bietet somit dem Entscheidungstragendem, sich einen interdisziplinären Schnellüberblick zu verschaffen. Dadurch können schnelle und pragmatische Entscheidung getroffen werden, die zur Entwicklung fundierter Lösungsansätze und effektiven Umsetzung von Maßnahmen beitragen. Wichtig ist auch (Organisationsprozesse). Eine flexible Krisenbewältigung erfordert zudem die Fähigkeit, Prioritäten zu setzen, improvisieren zu können und die Anpassung an sich schnell veränderten Situationen (Flexibilität). Daraus ergibt sich die Empfehlung, einen flexiblen Krisenreaktionsplan[1] zu entwickeln. Ein solcher Plan sollte die regionalen Gegebenheiten berücksichtigen und die Möglichkeit bieten, schnell auf neue Entwicklungen zu reagieren. Er sollte klare Vorgehensweisen festlegen und regelmäßig überprüft sowie angepasst werden, um effektiv auf verschiedene Szenarien reagieren zu können.

Eine besondere Rolle spielt in dem gesamten Prozess der Krisenbewältigung die Kommunikation. Zuverlässige und aktuelle Informationsquellen unterstützen die Verantwortlichen bei der Entscheidungsfindung. Auch eine gezielte Krisenkommunikation gegenüber der Bevölkerung ist dabei entscheidend, um Verständnis und Akzeptanz für die getroffenen Maßnahmen zu fördern. Transparenz und die kontinuierliche Aktualisierung der Informationen schaffen Vertrauen und stärken die Zusammenarbeit zwischen Verwaltung und Bürger*innen (Kommunikation und Informationen).

Ein weiterer wesentlicher Faktor für den langfristigen Erfolg des Krisenmanagements ist die kontinuierliche Evaluation und Nachbereitung der ergriffenen Maßnahmen. Nach jeder Krise sollte ein umfassender Lernprozess stattfinden, der es ermöglicht, Best Practices zu identifizieren und daraus Optimierungen abzuleiten. Inbegriffen interne Schulungen, vorbereitend auf eine nächste Krise, welche in regelmäßigen Abständen anberaumt werden sollten. Desweiterem ist die Betrachtung von Bedarfen und Bedürfnissen der Geflüchteten nicht zu vernachlässigen. Programme zur Hilfe zur Selbsthilfe und zum Empowerment[2] spielen hier eine zentrale Rolle, da sie dazu beitragen, langfristige Abhängigkeiten zu staatlichen Hilfen und Unterstützung durch die öffentliche Verwaltung vermeiden und die Eigenständigkeit der betroffenen Personen und der gesamten Gemeinde zu stärken (Lern- und Entwicklungsfaktoren).

Die Masterarbeit bietet eine umfassende Analyse des kommunalen Krisenmanagements von Flüchtlingen im ländlichen Raum und identifiziert wichtige Handlungsempfehlungen für die Praxis. Es besteht jedoch weiterhin Bedarf an vertiefter Forschung, da der bisherige Forschungsschwerpunkt im Zusammenhang mit humanitären Krisen und kommunalen Krisenmanagement vorwiegend in der Integration von Geflüchteten statt in der Bewältigung von Flüchtlingskrisen liegt. Darüber hinaus wurde in der Arbeit festgestellt, dass es ein Forschungsbedarf in der Entwicklung und Implementierung alternativer Verteilungsmechanismen für Geflüchtete besteht, um eine gerechtere Verteilung und eine bessere Integration in ländlichen Regionen zu ermöglichen. Des Weiteren ist eine vertiefte Auseinandersetzung mit spezifischen Herausforderungen, wie der medizinischen Versorgung von Flüchtlingen, erforderlich, um effektive Lösungsstrategien zu entwickeln und das kommunale Krisenmanagement kontinuierlich zu verbessern.

Einfluss auf die Hochschule Nordhausen und das Institut

Die Ergebnisse dieser Masterarbeit tragen zur Weiterentwicklung des Fachgebiet Public Management bei, indem sie einen Beitrag zur praktischen Anwendung von Erkenntnissen im Bereich des Krisenmanagements leistet. Durch die Identifizierung von Herausforderungen und Handlungsempfehlungen kann von praxisrelevanten Erkenntnissen profitiert und Fähigkeiten im Bereich des Krisenmanagements weiterentwickelt werden.

Poster:


[1] Ein Krisenreaktionsplan ist ein strategisches Dokument, das die Vorgehensweise und Maßnahmen festlegt, um auf Krisensituationen schnell zu reagieren. Es umfasst Notfallpläne, Verantwortlichkeiten, Kommunikationsstrategien und Anpassungsmechanismen für unterschiedliche Szenarien.

[2] Eigenständigkeit und Selbstwirksamkeit


Die Masterarbeit kann auf Anfrage zur Verfügung gestellt werden.


Autor

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Valeria Rademeyer