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Hochschule Nordhausen


Unsicherheitsbewertung des Energiesystemmodells des Freistaats Thüringen mit Hilfe eines Monte-Carlo-Ansatzes

Unsicherheitsbewertung des Energiesystemmodells des Freistaats Thüringen mit Hilfe eines Monte-Carlo-Ansatzes

von Theresa Reinhardt, Viktor Wesselak

Ein Monte-Carlo-Modell des Thüringer Energiesystems wurde entwickelt, um die Zuverlässigkeit der Systemkonfigurationen zu bestimmen. Das Energiemodell umfasst Versorgungs-, Speicher-, Umwandlungs- und Nachfragekomponenten für verschiedene Energieträger wie Strom, Wärme, Biomasse, Wasserstoff und Erdgas. Die Analyse wird für das Jahr 2030 durchgeführt und die energie- und klimapolitischen Ziele des Thüringer Klimaschutzgesetzes werden erfüllt. Das Ziel der Optimierung ist die Minimierung der Gesamtkosten. Unter Berücksichtigung von Unsicherheiten wie Preis-, Nachfrage- und Windvariabilität werden die Auswirkungen auf das Systemdesign untersucht. Die Modellierung erfolgt mit Hilfe von Open-Source-Tools.

Ein Energiesystemmodell ist ein mächtiges Werkzeug, das es Forscherinnen und Forschern, Politikerinnen und Politiker und Energieexpertinnen und -experten ermöglicht, das komplexe Netz von Interaktionen innerhalb eines Energiesystems zu verstehen, zu analysieren und Prognosen zu erstellen. Im Wesentlichen handelt es sich um eine mathematische Darstellung des gesamten Energiesektors, einschließlich der Erzeugung, Verteilung, Übertragung und des Verbrauchs von Energie. Diese Modelle sind entscheidend, um fundierte Entscheidungen über die Zukunft der Energieversorgung eines Landes oder einer Region zu treffen.

Der Zweck eines Energiesystemmodells besteht darin, die Dynamik und das Verhalten verschiedener Energietechnologien und -infrastrukturen zu simulieren. Es berücksichtigt Faktoren wie Energiequellen (z. B. fossile Brennstoffe oder erneuerbare Energien), Übertragungsnetze, Energiespeicher und die Nachfrage von Verbraucherinnen und Verbaucher. Durch die Integration dieser Komponenten können Modelle die Auswirkungen verschiedener Szenarien und Strategien bewerten, wie z. B. die Einführung neuer Technologien, Änderungen der Energiepolitik oder Schwankungen der Energienachfrage.

Der Nutzen solcher Modelle besteht darin, dass sie komplexe Daten und Informationen zusammenfassen können, um Entscheidungsträgern eine klare und messbare Basis für ihre Strategien zu liefern. Beispielsweise kann ein Energiesystemmodell dazu beitragen, die Auswirkungen des Ausstiegs aus fossilen Brennstoffen und der Einführung erneuerbarer Energien auf die Strompreise und die Versorgungssicherheit zu bewerten. Es kann auch dazu beitragen, die optimale Kombination von Energiequellen zu bestimmen, um die Treibhausgasemissionen zu reduzieren und gleichzeitig die Zuverlässigkeit der Energieversorgung sicherzustellen. Im Rahmen des Forschungsprojektes ZO.RRO II wird am Institut für Regenerative Energietechnik der Hochschule Nordhausen ein umfassendes Energiesystemmodell für Thüringen entwickelt. Dieses Modell zielt darauf ab, die Herausforderungen und Chancen des Energiesektors in der Region zu adressieren und eine nachhaltige und sichere Energiezukunft für Thüringen zu gewährleisten.

Es ist wichtig anzuerkennen, dass Energiesystemmodelle Unsicherheiten unterliegen, insbesondere im Zusammenhang mit Modellparametern. Diese Parameter umfassen eine Vielzahl von Variablen, wie z. B. zukünftige technologische Fortschritte, wirtschaftliche Faktoren und Verbraucherverhalten. Aufgrund der dynamischen Natur des Energiesektors ist es eine Herausforderung genaue Vorhersagen über lange Zeiträume hinweg zu treffen. Um diesen Unsicherheiten Rechnung zu tragen, verwenden Modellierer oft Sensitivitätsanalysen und untersuchen eine Reihe von Szenarien, um die Robustheit der Ergebnisse zu bewerten.

Methodik

Monte-Carlo-Simulationen sind eine leistungsstarke Methode, um Unsicherheiten und Variabilitäten innerhalb von Energiesystemmodellen zu bewältigen. Im Wesentlichen handelt es sich dabei um eine Technik, bei der eine große Anzahl zufälliger Stichproben aus einem definierten Eingabebereich gezogen wird, um die Auswirkungen von Unsicherheiten auf die Modellvorhersagen zu bewerten.

In Energiesystemmodellen gibt es zahlreiche Parameter, deren Werte mit einer gewissen Unsicherheit behaftet sind, wie z. B. zukünftige Energiepreise, technologische Fortschritte oder die Nachfrage von Verbraucherinnen und Verbraucher. Monte-Carlo-Simulationen ermöglichen es Modelliererinnen und Modellierer, diese Unsicherheiten zu quantifizieren und zu verstehen, wie sie sich auf die Ergebnisse auswirken können.

Durch die wiederholte Ausführung des Modells mit unterschiedlichen Eingabewerten, die zufällig innerhalb eines bestimmten Bereichs ausgewählt werden, kann ein Verteilungsmuster der Ergebnisse erstellt werden. Dies ermöglicht es Forscherinnen und Forschern, Wahrscheinlichkeiten für verschiedene Szenarien zu bestimmen und zu verstehen, wie empfindlich das System auf Veränderungen reagiert.

Das Energiesystem Thüringen

Grundlage des Monte-Carlo-Modells ist das Energiesystemmodell des Freistaats Thüringen aus dem vorangegangenen Forschungsprojekt ZO.RRO[1]. Im Rahmen des Projekts wurden die Ausbaupfade für verschiedene Technologien bis 2050 analysiert. Dabei werden die Entwicklung des Energiebedarfs und die lokalen Energiepotenziale der erneuerbaren Technologien ebenso berücksichtigt wie klimapolitische Ziele. Ziel ist es, die benötigte Leistung von erneuerbaren Energiequellen, Speichern und Power-to-X-Technologien1 zu optimieren und gleichzeitig die wirtschaftlichen Gesamtkosten zu senken. Das Modell hat eine stündliche Auflösung und ist in oemof2 implementiert. Die Abkürzung oemof steht für open energy modelling framework. oemof ist eine quelloffene Python-Bibliothek zur Modellierung und Analyse von Energiesystemen[2]. Alle Arten von Eingangsdaten werden in das oemof-Modell eingespeist, darunter Lastprofile, Komponentenspezifikationen wie Wirkungsgrade und Einspeiseprofile.

Das Energiesystemmodell Thüringen weist acht Busse auf. In der Energiesystemmodellierung bezeichnen „Buse“ den Transfer von Energiemengen innerhalb eines Energiesystems. Ein „Bus“ ist ein Knotenpunkt, an dem verschiedene Energiequellen, Verbraucher und Speicher miteinander verbunden sind. Die Busleitung gibt an, wie viel Energie über diesen Knotenpunkt fließt, was entscheidend für das Verständnis und die Optimierung des Energieflusses im Gesamtsystem ist: Während Gas- und Strombus die vorhandenen, überregionalen Netze abbilden, fasst der Fernwärmebus die dezentralen Nah- und Fernwärmenetze in den Thüringer Kommunen zusammen. Öl- & Kraftstoff- sowie Festbrennstoffbus repräsentieren die Verteilinfrastruktur für Kraft- und Brennstoffe. Der Wasserstoffbus beschreibt eine noch aufzubauende Verteilinfrastruktur für Wasserstoff. Bei der Biomasse wird zwischen Holz (Bioholzbus) und Substrat für Biogasanlagen (Biobus) unterschieden[1].

Das Python-Package monaco wird zur Verwaltung der Monte-Carlo-Simulation verwendet und ermöglicht Benutzerinnen und Benutzern die Analyse von Unsicherheiten und Sensitivitäten in ihren Berechnungsmodellen. Mit monaco können Benutzerinnen und Benutzer zufällige Eingabevariablen aus verschiedenen kontinuierlichen oder diskreten Verteilungen definieren und die Eingabedaten für die Hauptsimulation vorbereiten. Es bietet Plot- und Statistikfunktionen für die Analyse der Simulationsergebnisse und sorgt durch die Verwaltung zufälliger Seeds3 für die Wiederholbarkeit der Ergebnisse[3].


Abb. 1: Berechnete Kombinationen von unsicheren Parametern

In dieser Studie werden parametrische Unsicherheiten berücksichtigt. Hierfür wurden sechs Parameter ausgewählt, die hinsichtlich ihres Einflusses auf das Energiesystem als besonders relevant eingestuft werden und deren Unsicherheit in Tabelle 1 angegeben ist. Fünf Zufallszahlen werden als gleichverteilt angenommen, da über die tatsächliche Verteilung keine fundierte Aussage gemacht werden kann. Es werden 200 Iterationen durchgeführt. Abb. 1 zeigt die Kombinationen der unsicheren Eingangsparameter, wobei die Größe der Kreise die Lastschwankungen darstellt. Es ist eine gleichmäßige Abdeckung des Eingangsparameterraumes zu erkennen. Die Windgeschwindigkeit ist in Abb. 1 nicht enthalten.

Tabelle 1: Untersuchte Parameter, deren Schwankungsbreite sowie Verteilung

Das Referenzszenario ist das Basisszenario 2030 aus dem Projekt ZO.RRO[1]. Alle Ergebnisse der Monte-Carlo-Simulation werden mit dieser Referenz verglichen.

Abbildung 2 zeigt beispielhaft ein Ergebnis der Monte-Carlo-Simulation. Untersucht wurde die Abhängigkeit des Einsatzes von Elektrodenheizkesseln und Photovoltaikanlagen vom Strompreis und die sich daraus ergebenden Mengen importierten Stroms. Im Referenzszenario hatte der Elektrodenkessel eine Leistung P von 280 MW und die Freiflächenphotovoltaik von 4.729 MW, was der linken unteren Ecke in Abb. 2 entspricht. Bei einem günstigen Strompreis (Strompreisfaktor zwischen 1 und 1,2) wird viel Strom importiert (blaue Kreise). Steigt der Strompreis an, geht der Import zurück, die Eigenerzeugung aus Photovoltaik erhöht sich und in diesem Zuge auch der Einsatz von Elektrodenheizkesseln zur Nutzung des überschüssigen Stroms.

Abb. 2: Zusammenhang zwischen Strompreis und Elektrodenkessel

Schlussfolgerungen und Ausblick

Es wurde eine Monte-Carlo-Simulation für das Energiesystem in Thüringen beschrieben. Das Energiesystem besteht aus einer großen Anzahl von Komponenten und Energieträgern. Die Analyse wurde für das Jahr 2030 in stündlicher Auflösung durchgeführt. Für die Modellierung wurden Open-Source Python-Tools verwendet. Die Gesamtkosten wurden in jeder Monte-Carlo-Iteration minimiert, wobei die Emissionen berücksichtigt wurden.

Es wurden Unsicherheiten bei der Energieversorgung, den Preisen und der Lastseite modelliert. Es zeigt sich, dass der Strompreis den größten Einfluss auf das gesamte System und seine Konfiguration hat. Die Auswirkungen der anderen unsicheren Parameter, wie z. B. des CO2-Preises, auf die Auslegung des Gesamtsystems sind eher gering.

Steigt der Strompreis, sinkt gleichzeitig die aus dem Netz bezogene Strommenge und der Ausbau von Photovoltaik-Freiflächenanlagen wird verstärkt. Überschüssige Photovoltaik-Energie wird dann im Elektrolyseur und dem Heizstab genutzt. Dadurch werden auch die Speicherkapazitäten erhöht. In diesem Fall sinken sowohl die Gesamtkosten als auch die Emissionen. Dies spricht für den Ausbau der erneuerbaren Technologien. Die Technologien, die im Referenzszenario nicht eingesetzt werden (z. B. Brennstoffzelle und Methanisierung), kommen auch in keiner Monte-Carlo-Iteration zum Einsatz. Bei den beiden Wärmepumpen ist eine Lastabhängigkeit deutlich zu erkennen. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass eine Variation der sechs unsicheren Parameter nicht zu einer anderen Zusammensetzung des Energiesystems führt, sondern eher zu einer Veränderung der installierten Leistung einiger Technologien oder Speicherkapazitäten. Monte Carlo ist also eine gute Methode, um die robustesten Technologien unter Unsicherheit zu identifizieren.

Referenzen

[1] C. Frenkel, L. Hofmann, J. Liebe, A. Oberdorfer, T. Reinhardt, C. Schmidt S. Voswinckel, V. Wesselak, “So geht´s Wie Thüringen klimaneutral wird – die Ergebnisse der Energiessystemmodellierung,” Digitale Bibliothek Thüringen, 2021, https://doi.org/10.22032/dbt.53108.

[2] U. Krien, P. Schönfeldt, J. Launer and S. Hilpert, “oemof.solph – A model generator for linear and mixed-integer linear optimisation of energy system,” Software Impacts, Volume 6, 2020, https://doi.org/10.1016/j.simpa.2020.100028.

[3] W. Scott Shambaugh, “Monaco: A Monte Carlo Library for Performing Uncertainty and Sensitivity Analyses,” In Proceedings of the 21st Python in Science Conference (pp. 202 – 208), 2022.


1 Power-to-X (PtX) bezeichnet Technologien, die überschüssige elektrische Energie in andere Energieformen oder chemische Produkte umwandeln. Dies umfasst beispielsweise die Produktion von Wasserstoff (Power-to-Hydrogen), synthetischen Kraftstoffen (Power-to-Fuel) oder Wärme (Power-to-Heat), um die Energie in Zeiten hoher Nachfrage oder geringer Produktion wieder nutzbar zu machen.

2 oemof (Open Energy Modelling Framework) ist ein Werkzeugkasten für die Modellierung und Optimierung von Energiesystemen. Es ist in Python geschrieben und umfasst verschiedene Projekte, die von unterschiedlichen Entwicklerteams verwaltet werden. Alle Projektbibliotheken sind als freie Software unter der MIT-Lizenz veröffentlicht. Die oemof-Gemeinschaft organisiert sich selbst und steht jedem offen, der mitmachen möchte.

3 In diesem Kontext bezeichnen „Seeds“ initiale Zufallszahlen, die in Simulationen verwendet werden, um Zufallsprozesse zu steuern. Durch die Verwaltung dieser „Seeds kann“ sichergestellt werden, dass die gleichen Zufallsprozesse bei wiederholten Läufen der Simulation immer die gleichen Ergebnisse liefern. Dies ist wichtig für die Wiederholbarkeit und Vergleichbarkeit der Simulationsergebnisse.


Autor

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    Theresa Reinhardt

  • Prof. Dr.-Ing. Viktor Wesselak

    Prof. Dr.-Ing. Viktor Wesselak