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Hochschule Nordhausen
Chancen und Herausforderungen in der Sozialen Arbeit durch den Klimawandel
Chancen und Herausforderungen in der Sozialen Arbeit durch den Klimawandel
von Hannah Maiwald, Betreuerin: Ines Jahne (M.A.)
Wie kann die Soziale Arbeit eine Akteursrolle in der Debatte der Klimagerechtigkeit übernehmen? Eine qualitative Befragung von Expert:innen der sozialökologischen Transformation der Sozialen Arbeit
Soziale Arbeit hat das Ziel, Gerechtigkeit und Vielfalt in der Gesellschaft zu fördern sowie die Selbstbestimmung ihrer Klient:innen und Adressat:innen wieder herzustellen (vgl. DBSH 2016, S. 2). Dabei stehen auch eine nachhaltige Entwicklung und die Nutzung von beispielsweise sozialer und ökologischer Ressourcen der Klient:innen eine Rolle.
Laut Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung bedeutet Nachhaltigkeit oder nachhaltige Entwicklung „[…] die Bedürfnisse der Gegenwart so zu befriedigen, dass die Möglichkeiten zukünftiger Generationen nicht eingeschränkt werden“ (BMZ 2024).
Werden diese beiden Definitionen betrachtet, können Zusammenhänge zwischen sozialer und ökologischer Nachhaltigkeit gefunden werden. So bildet das soziale Handeln grundlegende Dimensionen für den Klimawandel, während der Klimawandel die Grundlage für das soziale Handeln bedroht (vgl. Liedholz 2023, S. 14).
Die Fachgruppe Klimagerechtigkeit und sozialökologische Transformation der Sozialen Arbeit der Deutschen Gesellschaft für Soziale Arbeit hat sich 2021 dieser Thematik angenommen. Auf Basis ihrer Arbeit konnten einige literarische Werke gesammelt werden, so wie das Grundlagenwerk Berührungspunkte von Sozialer Arbeit und Klimawandel von Yannick Liedholz (vgl. DGSA 2024).
Abbildung 1 – Übersicht Forschungsstand zu Sozialer Arbeit und Klimawandel (eigene Darstellung)
Aus der Auseinandersetzung mit der bestehenden Forschung und Literatur entwickelte sich schließlich die Forschungsfrage:
Die Forschungsfrage teilt sich damit in zwei Bereiche: Zunächst die Auswirkungen, sowie die Chancen und Herausforderungen auf die Interventionsfelder der Sozialen Arbeit. Für eine übersichtliche und konkrete Forschung wurden fünf Handlungsfelder ausgewählt:
Migration, Sozialpolitik, Machtverteilungen, Diskriminierungsprozesse und Bildung und Pädagogik.
Mithilfe einer qualitativen Forschung sollen dazu folgende Hypothesen hinterfragt werden:
Um diese Hypothesen zu beantworten, wurde sich auf konkrete Theorien der Sozialen Arbeit bezogen: Das Prinzip der sozialen Gerechtigkeit und Klimagerechtigkeit, aber auch die Soziale Arbeit als Menschenrechtsprofession nach Sylvia Staub-Bernasconi oder die Lebensweltorientierung nach Hans Thiersch (vgl. Dörfler und Stamm 2023, S. 83). Hierbei wurden Verknüpfungen zwischen den bedrohten Menschenrechten und dem damit einhergehenden politischen Mandat der Sozialen Arbeit in Bezug auf den Klimawandel hergestellt (vgl. ebd.)
Abbildung 2 – Schwerpunkte, welche in der Bachelorarbeit beleuchtet wurden (eigene Darstellung)
Der Forschungsbericht beginnt mit einem theoretischen Teil, um die bisherige Literatur und den Forschungsstand zusammenzutragen. Durch die Aktualität des Themas konnten nur wenige Forschungen gefunden werden, aber die Fachgruppe Klimagerechtigkeit und sozialökologische Transformation der Sozialen Arbeit der DGSA (vgl. DGSA 2024) wurde als sehr hilfreich befunden. Durch eine systematische Literaturrecherche konnte der bestehende Forschungsstand zusammengefasst werden (vgl. Niedermaier 2023, S. 168-172).
Darüber hinaus wurde im weiteren Verlauf eine qualitative Forschung mit drei Expert:inneninterviews von einer Dauer von 45 Minuten durchgeführt. Diese Interviews wurden aufgenommen, anschließend wörtlich transkribiert (vgl. Fuß, Karbach 2019, S. 31) und in einer qualitativen Inhaltsanalyse nach Kuckartz mit Hilfe des Programms MAXQDA ausgewertet (vgl. ebd.). Damit sollte vor allem ein tiefgehender Blick der befragten Expert:innen in die Thematik ermöglicht werden, sodass vor allem nach Auswirkungen, den Chancen und Herausforderungen der Folgen des Klimawandels für die Soziale Arbeit gefragt werden konnte. Daraus konnte auch die Akteursrolle der Sozialen Arbeit in der Klimagerechtigkeit abgeleitet werden.
Die Forschung zeigt, dass die Auswirkungen des Klimawandels als Querschnittsthema der Sozialen Arbeit deren gesamte Handlungsfelder berührt (vgl. Interview 1, Z. 27- 28; vgl. Interview 2, Z. 67-70). Die Menschenrechte sind durch den Klimawandel bedroht oder sind bereits jetzt in einigen Regionen nicht gewährleistet (vgl. Dörfler 2022, S. 84). Die Menschen, die bereits an den Rand der Gesellschaft gedrängt sind, am vulnerabelsten sind und diskriminiert werden – also vor allem die Menschen, die die Adressat:innengruppe der Sozialen Arbeit bilden –, sind von den Folgen des Klimawandels am stärksten betroffen (vgl. Liedholz 2021, S. 42-43; vgl. Interview 2, Z. 200-201; vgl. Interview 3, Z. 81- 83). Nicht nur auf der individuellen Ebene ergeben sich hier grundlegende Gerechtigkeitsdiskurse, sondern auch auf der nationalen und internationalen Ebene (vgl. ebd.).
Die größte Herausforderung der Sozialen Arbeit wird wohl das Annehmen des eigenen politischen Mandats sein, um gesellschaftliche und politische Veränderung zu einer Aufgabe der Sozialen Arbeit zu erklären (vgl. Liedholz 2023, S. 17; vgl. Interview 1, Z. 558-562; vgl. Interview 2, Z. 236-239). Die Soziale Arbeit muss ihre eigenen Mandate reflektieren (vgl. Interview 1, Z. 499-500). Ein wahrgenommenes politisches Mandat kann eine große Chance der Sozialen Arbeit sein, sich ein politisches Mitbestimmungsrecht anzueignen, sodass nicht nur Symptome sozialer Ungleichheiten entstehend durch den Klimawandel behandelt, sondern auch Strukturen und Systeme verändert und angepasst werden können (vgl. Interview 1, Z. 102-106; vgl. Interview 2, Z. 235; vgl. Wassermann 2023, S. 15). So könnte die Soziale Arbeit auf gesellschaftlicher Ebene Konzepte der Klimagerechtigkeit einfordern und umsetzen, Klimagerechtigkeitsprojekte erarbeiten, eigene Einrichtungen verändern und Maßnahmen zur Anpassung an die Auswirkungen des Klimawandels entwickeln (vgl. Staats 2023, S. 12). Im pädagogischen und individuellen Kontext sollte sich die Soziale Arbeit des Themas der nachhaltigen Bildung annehmen, sowie die Erlebnispädagogik als Methode zur Herstellung des Mensch-Natur-Verhältnisses nutzen und mit Hilfe der Krisenbewältigung Emotionen auffangen (vgl. Interview 1, Z. 402-405; vgl. Liedholz 2021, S. 129).
Über die Chancen und Herausforderung der Sozialen Arbeit hinaus kann auch eine Rolle mit Hilfe des Konzepts der vier Wirkungsebenen von Liedholz konkretisiert werden (vgl. Liedholz 2023, S. 17). Diese Ebenen sind folgende:
Die Forschungsarbeit hat ein sehr junges Forschungsthema aufgegriffen und die Frage gestellt, ob die Mandate der Sozialen Arbeit erweitert werden sollen. Auch wenn das politische Mandat an der Hochschule Nordhausen bereits als solches anerkannt und an die Studierenden weitergetragen wird, so wird es von vielen Studierenden selbst noch nicht als solches wahrgenommen. Die Forschungsarbeit kann Studierenden ermöglichen, über den Tellerrand hinaus zu blicken und die Soziale Arbeit mitzugestalten, sodass in dieser nicht nur die Krisenbewältigung, sondern auch die Prävention von Krisen angewendet wird. Aber auch mit Hilfe von Gastvorträgen zum Thema wird mehr und mehr auf das Thema eingegangen. Dabei kann die Forschungsarbeit als Beispiel genommen werden und aufzeigen, wo die Akteursrolle der Sozialen Arbeit ansetzen könnte. Auch in der Studiengangsordnung sollen die Sustainable Development Goals aufgenommen und in den Vorlesungen mit anderen Themen verknüpft werden. Die Herausforderung wird aber sein, dass die Studierenden und Dozierenden das politische Mandat der Sozialen Arbeit annehmen. Erst danach kann darauf eingegangen werden, dass der Klimawandel ein Teil des politischen Mandats der Sozialen Arbeit ist.
Aus der Forschungsarbeit kann geschlussfolgert werden, dass der Klimawandel jedes betrachtete Handlungsfeld der Sozialen Arbeit beeinflusst und somit ein Querschnittsthema bildet. Dabei ist für die Soziale Arbeit von Bedeutung, dass ihre Klientel am vulnerabelsten gegenüber den Folgen des Klimawandels ist. Somit ergibt sich aus der Sozialen Arbeit, dass sie auf den Klimawandel früher oder später reagieren muss. Um präventiv bereits die Folgen des Klimawandels zu bearbeiten, müssen Sozialarbeitende jedoch das politische Mandat anerkennen und umsetzen. Erst dann kann eine Akteursrolle im Kampf gegen die Folgen des Klimawandels angenommen werden, denn nur durch strukturelle Veränderungen kann präventiv gearbeitet werden. Dabei kann Bezug auf das Modell der vier Wirkungsebenen von Liedholz genommen werden, sodass soziale Einrichtungen, Hochschulen und Individuen einem roten Faden folgen, um aktiv zu werden. Dabei ist Bildung für nachhaltige Entwicklung ein wichtiger Bestandteil der Akteursrolle.
Die Forschung wirft jedoch auch weitere Lücken auf, die in weiteren Ausarbeitungen näher beleuchtet werden können: So zum Beispiel kann die Akteursrolle anhand spezifischer sozialer Einrichtungen oder soziokultureller und queer-feministischer Theorien konkretisiert werden. Außerdem können die Curricula der Hochschulen auf den Einbezug der Klimagerechtigkeit geprüft und überarbeitet werden. Auch die einzelnen Handlungsfelder können konkretisiert aufgegriffen werden, so zum Beispiel die Zusammenhänge zwischen Alltagsgewalt und Klimawandel.
So bilden all diese Themen eine Grundlage für die Zusammenführung der Sozialen Arbeit mit dem Klimawandel. Dabei stellt sich vor allem die Frage an den Fachbereich, ob das politische Mandat und auch das Mandat der Klimagerechtigkeit aufgenommen wird. Diese Schwierigkeit wirft auch die Frage auf, ob die Soziale Arbeit lediglich eine reagierende Profession ist oder auch selbst politisch agieren und mitgestalten möchte.
Darüber hinaus stellt die Forschungsarbeit auch die Notwendigkeit der Bearbeitung des Klimawandels dar. Denn letztendlich bleibt die Frage, wie andere Themen bearbeitet werden können, wenn die Lebensgrundlage schwindet.
Literarische Quellen:
Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) (2024): Nachhaltigkeit (nachhaltige Entwicklung). URL: Nachhaltigkeit (nachhaltige Entwicklung) | BMZ
DBSH – Deutscher Berufsverband für Soziale Arbeit e.V (2014): Kommentar zur „Global Definition of Social Work“. URL: https://www.dbsh.de/media/dbsh-www/downloads/Global_Definition_of_Social_Work_Original.pdf
Deutsche Gesellschaft für Soziale Arbeit (2024): Fachgruppe – Klimagerechtigkeit und sozialökologische Transformation der Sozialen Arbeit. URL: https://www.dgsa.de/fachgruppen/klimagerechtigkeit-und-sozial-oekologische-transformation-in-der-sozialen-arbeit
Dörfler, Lisa (2022): Soziale Arbeit als Menschenrechtsprofession im Kontext der Klimakrise. In: Tino Pfaff, Barbara Schramkowski, Ronald Lutz (Hrsg.) (2022): Klimakrise, sozialökologischer Kollaps und Klimagerechtigkeit. Spannungsfelder für die Soziale Arbeit. Weinheim Basel: Beltz Juventa, S. 81 – 90.
Dörfler, Lisa; Stamm, Ingo (2023): Nachhaltigkeit und Soziale Arbeit als Menschenrechtsprofession. In: Yannick Liedholz, Johannes Verch (Hrsg.) (2023): Nachhaltigkeit und Soziale Arbeit. Grundlagen, Bildungsverständnisse, Praxisfelder. Opladen, Berlin, Toronto: Barbara Budrich Verlag, S.81–92.
Fuß, Susanne; Karbach, Ute (2019): Grundlagen der Transkription. Eine praktische Einführung. 2. überarbeitete Auflage. Opladen, Berlin, Toronto: Barbara Budrich (utb).
Liedholz, Yannick (2021): Berührungspunkte von Sozialer Arbeit und Klimawandel. Opladen, Toronto, Berlin: Barbara Budrich Verlag.
Liedholz, Yannick (2023): Klimawandel und Soziale Arbeit. Ein Überblick. In: sozialmagazin. 2023/7- 8. S. 13-18.
Niedermaier, Klaus (2023): Recherchieren, Dokumentieren, Zitieren. Die Arbeit mit wissenschaftlichen Quellen. 2. vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage. München: UVK Verlag (utb).
Staats, Martin (2023): Nachhaltigkeit und Soziale Arbeit – Ein essayistischer Impuls. Martin Staats über die Entwicklung von Nachhaltigkeitsfragen und den Weg Sozialer Arbeit aus der Exklusionsverwaltung. In: FORUM sozial – Die berufliche Soziale Arbeit. 2023 / 2. S. 11-12.
Wassermann (2023): “Wir haben kein Wissens-, sondern ein Umsetzungsproblem“. Das Potenzial der Sozialen Arbeit für den Klimaschutz erkennen und nutzen. In: FORUM sozial – Die berufliche Soziale Arbeit. 2023 / 2. S. 13-15.
Aus den Transkripten:
Interview 1, Z. 27-28: „Oh, ich würde sagen da es ein Querschnittsthema ist, berührt es alle Bereiche der Sozialen Arbeit.“
Interview 1, Z. 102-106: “Genau, ich denke das ist so eine Verantwortlichkeit und dann stellt sich natürlich die Frage, inwieweit wird die Soziale Arbeit auch als politische Soziale Arbeit gedacht. Also wenn sie so gedacht wird, inwiefern sie klimapolitische Prozesse auf lokaler, regionaler, nationaler, internationaler Ebene einbringt. Und ich denke, dass ist auch ein Verantwortungsbereich der Sozialen Arbeit.“
Interview 1, Z. 402-405: „Das heißt, da ist die Hauptaufgabe Sozialer Arbeit, Räume für Empowerment, für Selbstwirksamkeitserfahrungen zu schaffen und eben nicht diese Ohnmacht zu reproduzieren. Ja, also, Nießen und Peter schreiben einmal: So ein Stück weit mit den Emotionen umgehen.“
Interview 1, Z. 499-500: “Einerseits in Pädagogik das System kritisieren, in dem Pädagogik gerade stattfindet. Also das ist, glaube ich, eine große Herausforderung.“
Interview 1, Z. 558-562: „Aber was ich vielleicht nochmal unterstreichen würde, wäre wirklich die gesellschaftspolitische Dimension der Sozialen Arbeit. Also, das ist etwas, was mich sehr bewegt. Das Problem ist immer, es ist ein bisschen visionär, weil viele Soziale Arbeit dienstleistungsorientiert denken und auch sehr wenig über den Tellerrand hinausschauen und wenn man dann sagt: Nee, nee, die Soziale Arbeit könnte gesellschaftspolitisch eine stärkere Rolle spielen.“
Interview 2, Z. 67-70: „Klimawandel wirkt sich im Prinzip auf jedes Handlungsfeld Sozialer Arbeit aus. Es würde mir keins einfallen, wo ich sagen würde: Die sind davon irgendwie nicht betroffen. Weil letztlich befasst es uns ja auch als Individuen und am besten könnte man es wahrscheinlich mit Mikro-, Meso- und Makroebenen erklären.“
Interview 2, Z. 200-201: „Ja genau, ich denke das Problem ist (…), das sich Armutsrisiken eben auch verschärfen, wie wir gerade mitbekommen.“
Interview 2, Z. 235: „Eine Chance wäre erstmal, dass Sozialarbeitende sich vielleicht noch mehr mit Sozialpolitik befassen.“
Interview 2, Z. 236-239: „Eine Chance wäre erstmal, dass Sozialarbeitende sich vielleicht noch mehr mit Sozialpolitik befassen. Das tun sie manchmal ganz engagiert, aber manche finden das, auch wie ich das vorhin schon gesagt habe: Muss das jetzt auch
noch sein? Es reicht doch eigentlich, wenn ich einen guten Draht zu meinem Gegenüber habe und für den im Rahmen der Einzelfallhilfe auch ansprechbar und da bin. Aber ich glaube, das funktioniert so einfach nicht.“
Interview 3, Z. 81-83: „Also, ich finde halt der wichtigste Punkt ist, dass letztlich diejenigen, die sowieso schon benachteiligt sind, eben auch am stärksten jetzt am Klima/ unter den Folgen am Klimawandel leiden, aber auch noch viel stärker leiden werden.“
Hannah Maiwald Forschungsgebiete: Soziale Arbeit und das politische Mandat in Bezug auf Klimagerechtigkeit
Bachelor-Absolventin an der Hochschule Nordhausen (Gesundheits- und Sozialwesen), Master-Studentin an der Hochschule für angewandte Wissenschaften Hildesheim (Internationale Soziale Arbeit)