Das Institut für Sozialmedizin, Rehabilitationswissenschaften und Versorgungsforschung betrachtet Studierende in ihrer Rolle als Forschende als einen wichtigen Baustein, um neue Erkenntnisse in der Wissenschaft zu erhalten. Innerhalb ihrer Tätigkeiten als Projektmitarbeiter:innen, studentische Hilfskräfte oder auch insbesondere beim Erarbeiten und Verfassen von Abschlussarbeiten helfen sie mittels ihrer Beiträge wichtige Entwicklungen sowie Erkenntnisse aufzuzeigen.

Masterarbeiten

im Rahmen des Forschungsprojektes

Paula Witzel (Studiengang Therapeutische Soziale Arbeit)

Thema: Selbstdarstellungen von Mutter-Kind-Dyaden aus ukrainischen Kriegsgebieten. Eine narrative Positionierungsanalyse zweier kontrastiver Fälle.

Die russische Invasion in der Ukraine hat einen der schnellsten und größten Zwangsmigrationsprozesse seit dem Zweiten Weltkrieg ausgelöst. Die Mehrzahl der Geflüchteten setzt sich aus Müttern und ihrem(n) Kind(ern) zusammen. Ihr Identitätsbewusstsein wird durch die erforderliche Rotation zwischen verschiedenen Referenzrahmen sowie die Konfrontation mit diversen (kritischen) Ereignissen, Herausforderungen und Erwartungen geprägt und beeinflusst. Es bleibt offen, wie es Betroffenen gelingen kann, trotz der Einflüsse ihre Identitätsarbeit zu verrichten und ihren Erfahrungsschatz sinnhaft in den Arbeitsprozess zu assimilieren. Es ist von Interesse zu klären, ob ein Zusammenhang zum Kohärenzgefühl und der Resilienzentwicklung besteht. In der Wissenschaft scheint bisher noch kein Bezug zwischen den Konzepten hergestellt worden zu sein.

Die Studie basiert auf der gegenstandsfundierten und kontextsensitiven Methodologie der Rekonstruktion narrativer Identität. Es findet ein Auswertungsdesign aus der Analyse von Positionierungsaktivitäten und Darstellungsverfahren Anwendung. Die Stichprobe setzt sich aus zwei Teilfamilien zusammen. Die Auswertung erfasst pro Teilfamilie ein narratives und teilstrukturiertes Einzelinterview mit einer Mutter sowie ein Subsysteminterview mit zusätzlicher Anwesenheit eines Kindes. Es erfolgt eine intergenerationale Gegenüberstellung so wie ein Vergleich zwischen den Teilfamilien.

Die Ergebnisse legen nahe, dass erzählerische Darstellungsmerkmale unterschiedlichen Stils auf funktionale Bewältigungsprozesse der Erfahrungen verweisen. Die Positionierungen und der Fokus auf lösungsorientierte Ausnahmen, die im problemgesättigten Handlungsstrang auftreten, bieten potenzielle Rückschlüsse auf die Assimilierungsarbeit. In der ersten Teil Familie scheint die Mutter, im Gegensatz zu ihrem Kind, zu einer funktionalen Traumabewältigung und Assimilierungsarbeit gefunden zu haben. In der zweiten Teilfamilie sind Mutter und Kind zu einer funktionalen Traumabewältigung gelangt. Jedoch dürfte lediglich dem Kind die erfolgreiche Assimilierung gelungen sein. Die Ergebnisse weisen darauf hin, dass die Möglichkeit zu sinnhafter Assimilierung von Zwangsmigrationserfahrungen besteht. Es ist anzunehmen, dass die Assimilierungsarbeit von der Konstitution und den Wechselwirkungen zwischen Ressourcen, Bewertungsprozessen, dem Kohärenzgefühl, der (über-) situativen Verarbeitung der Identität sowie dem Verlauf des Resilienzprozesses beeinflusst wird.

Leonie Krahl (Master Therapeutische Soziale Arbeit) 

Thema: Bedeutung und Tradierung von Zwangsmigration im Familiengedächtnis Eine qualitative Inhaltsanalyse anhand kontrastiver Einzelfälle. 

Familien als Erinnerungsgemeinschaften vergegenwärtigen ihre Vergangenheit im Rahmen ihres kommunikativen Familiengedächtnisses. Dabei wirkt die Vergangenheit über transgenerationale Prozesse lebendig in die Gegenwart hinein, indem das Familiengedächtnis Normen, Werte sowie die Identität formt. Ziel dieser Masterarbeit ist die Auseinandersetzung mit den Erinnerungsinhalten des kommunikativen Familiengedächtnisses anhand zwei kontrastiver Familien, in denen die Großelterngeneration nach dem Zweiten Weltkrieg aus den damaligen ostdeutschen Gebieten vertrieben wurde. Im darauffolgenden Schritt sollen Hypothesen zur Familienstruktur in Bezug auf das Familiengedächtnis generiert werden. Die Untersuchung erfolgt mit Hilfe von Interviews sowie der Auswertung anhand der qualitativen Inhaltsanalyse, bei der Kategoriensysteme gebildet werden, um darauf basierend Vergleiche zwischen den kontrastiven Einzelfällen durchzuführen. In Familien sind erhebliche Differenzen bezüglich des kommunikativen Umgangs mit der Vergangenheit sowie der Bedeutung von Erinnerungen festzustellen. Eine Familie leistet aktiv Erinnerungsarbeit, was ihre Einheitsgemeinschaft als Familie stärkt und einen reflexiven Umgang mit ihrer Vergangenheit fördert, indem sie diese für ihre Zukunft nutzt. Im Gegensatz dazu findet in der anderen Familie eine geringe Tradierung der Vertreibung im Familiengedächtnis statt und sie erweckt den Eindruck einer Distanzierung bzw. Abgeschlossenheit mit ihrer Vergangenheit. Im Zuge der Hypothesengenerierung lässt sich ein Zusammenhang zwischen dem Familiengedächtnis und dem Ausprägungsgrad der Familienkohäsion vermuten: Eine hohe Bedeutung der familiären Vergangenheit sowie ein wiederkehrendes gemeinsames Erinnern in Gesprächen kann zur Verbundenheit sowie zu engen Bindungen innerhalb der Familie beitragen. Die Untersuchung der Hypothesen mittels der Fallrekonstruktion stellt einen aufbauenden Schritt auf diese Arbeit dar.


Fady Guirguis (Master Therapeutische Soziale Arbeit) 

Thema: Transgenerationale Effekte der Werteorientierung im Kontext von Zwangsmigration nach dem Zweiten Weltkrieg. Eine qualitative und quantitative Analyse der Wertetypen aus Schlesien vertriebener und geflüchteter Familien und ihrer Nachkommen. 

Der Wertewandel und die Wertetransmission wurden in den letzten Jahren in vielen Wissenschaften zunehmend unter die Lupe genommen. Dies wurde allerdings im Zusammenhang mit der Zwangsmigration nicht ausreichend behandelt bzw. es liegen kaum empirische Studien diesbezüglich vor. Methodik: Durch ein Mix-Methods-Design wird an einer Stichprobe (bundesweit) von N = 746 aus Schlesien Vertriebenen und ihren Nachkommen ihre Wertetypen untersucht. Das Hauptmessinstrument dabei ist der Fragebogen „Portraits Value Questionnaire“ (PVQ-21). Mithilfe des ESS-Datensatzes konnte die Werteorientierung der Befragten mit der Gesamtbevölkerung in Deutschland verglichen werden. Zudem wurde durch qualitative Daten der mögliche Einfluss auf die Entstehung der Wertetypen bei den Vertriebenen sowie auf die Werteweitergabe bei der zweiten und dritten Generation erforscht. Ergebnisse: Vertriebene weisen höhere Werte an Tradition, Konformität, Leistung, Stimulation und Universalismus auf als die gleichaltrige Gesamtbevölkerung in Deutschland. Insgesamt zeigen die vertriebenen Familien (drei Generationen) einen überdurchschnittlichen Universalismus, wohingegen der Wertetyp Hedonismus bei ihnen unterdurchschnittlich ausgeprägt ist. Schlussfolgerung: Die Vertreibungserfahrung scheint eine besonders starke Rolle in Bezug auf die Werteorientierung der Vertriebenen selbst zu spielen. Während Werte Konformität und Leistung zur Steigerung der sozialen Anerkennung dienen und als Schutzstrategie gegen Diskriminierung im Aufnahmeland gelten, hängt die Signifikanz der Wertetypen Tradition und Universalismus mit dem Heimatsverlust zusammen.