Thesen für eine nachhaltige Energiepolitik

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In den vergangenen Jahren haben die erneuerbaren Energien eine stürmische technologische und ökonomische Entwicklung genommen. Dieser Prozess ist in Deutschland durch den beschleunigten Ausstieg aus der Kernenergie in Folge der Reaktorkatastrophen von Fukushima und einem starken Zuwachs der regenerativen Stromerzeugungskapazitäten gekennzeichnet. Regenerative Energien – und hier insbesondere Photovoltaik und Windkraft – decken derzeit bereits ein Viertel des jährlichen Strombedarfs ab. Die Frage der Markteinführung regenerativer Energietechniken ist hier längst der Frage nach einer Marktintegration wachsender PV- und Windstrommengen gewichen. Ganz anders sieht die Entwicklung im Wärme- und Mobilitätsbereich aus. Fehlende Anreizstrukturen und noch ausstehende technologische Richtungsentscheidungen führen zu einer Stagnation auf niedrigem Niveau. Dabei kommt dem Wärmesektor die entscheidende Bedeutung für die Erreichung der Klimaziele zu.

Die erste Phase des Umbaus unseres Energiesystems war durch die breite Förderung unterschiedlicher Konzepte im Strom-, Wärme- und Treibstoffbereich gekennzeichnet. Diese wies im Zuge der technologischen Entwicklung aber auch der politischer Einflussnahme durchaus abrupten Wechsel auf. Beispiele sind die Förderung von biogenen Reinkraftstoffen oder der offshore-Windkraft. In der zweiten Phase muss die Energiepolitik nun dafür sorgen, dass sich die Energiekonzepte durchsetzen, die sowohl kostengünstig als auch umwelt- und klimaverträglich sind. Dies kann über eine entsprechende Ausgestaltung der Marktmechanismen als auch über eine Konzentration der Forschungsförderung geschehen. Die folgenden Thesen versuchen aus der Sicht eines ingenieurtechnischen Effizienzbegriffs die anstehenden energiepolitischen Entscheidungen bezüglich der energetischen Technologieoptionen und ihrer Kosten zu bewerten.

1. Die Gesetze der Thermodynamik gelten auch bei der Energiewende

Unterschiedliche Energieformen weisen unterschiedliche Anteile von Exergie auf. Exergie ist der Anteil der Energie, der ohne Einschränkungen in eine andere Energieform umgewandelt werden kann. Je höher der Anteil an Exergie ist, desto vielfältiger kann Energie eingesetzt werden. Elektrische und mechanische Energie bestehen vollständig, Kraftstoffe überwiegend aus Exergie. Der Exergieanteil von Wärmeenergie ist abhängig von der Temperatur und liegt beispielsweise bei einem Temperaturniveau von 60°C unter 15 Prozent.

Bei jeder Energiewandlung wird nach dem Zweiten Hauptsatz der Thermodynamik Exergie vernichtet, d.h. die Energie thermodynamisch entwertet. Besonders erheblich sind die Exergieverluste beim Einsatz elektrischer Energie zur Direktheizung (bei „PV-Wärme“ rund 85 Prozent) oder bei der Speicherung über komplexe Umwandlungsprozesse (bei „Power-to-Gas“ mehr als 60 Prozent). Vereinfacht gesagt wurde im ersten Fall ein wertvoller Energieträger unter seinen Möglichkeiten eingesetzt und im zweiten Fall aus drei Einheiten elektrischer Energie etwas mehr als eine gemacht.

Der Einsatz und die Speicherung von Energie müssen also exergieeffizient sein. Konkret bedeutet dies, dass dort wo niederexergetische Energie in Form von Raum-, Brauchwasser- oder Prozesswärme benötigt wird, zunächst niederexergetische Energiequellen wie Solarthermie, Geothermie oder Umweltwärme zu nutzen sind. Hochexergetische Energieträger sollten dabei nur ergänzend (Biomasse) oder vermittels einer Wärmepumpe (Elektrische Energie) zur Anwendung kommen.

2. Die Energiewende entscheidet sich im Wärmebereich

Über die Hälfte des deutschen Endenergiebedarfs – und damit einhergehend auch der CO2-Emissionen – liegt im Wärmebereich. Der Erfolg der Energie- und Klimapolitik in Deutschland wird daher wesentlich von den Fortschritten im Wärmebereich abhängen. Dies betrifft gleichermaßen die Senkung des Raumwärmebedarfs, den effizienten Einsatz von Prozesswärme und den Ausbau erneuerbarer Energien im Wärmebereich.

Die Gebäudesanierung ist dabei nur soweit zu fördern/fordern, wie sie hinsichtlich CO2-Vermeidung und Wirtschaftlichkeit sinnvoller ist als der Einsatz erneuerbarer Energien. Deren Potenziale – insbesondere die der Solarthermie sowie der Erd- und Umgebungswärme – werden bisher in Deutschland nur unzureichend genutzt.

3. Tarife müssen die ökologische Wahrheit sagen

„Preise müssen die ökologische Wahrheit sagen.“ Diese Forderung von Ernst Ulrich von Weizsäcker gilt einerseits für unterschiedliche Technologien, die auf demselben Markt agieren. Die bisherigen Mechanismen zur Einbeziehung des Klimaschädigungspotenzials durch einen CO2-Zertifikatehandel haben sich als nicht wirksam erwiesen, so dass eine direkte CO2-Abgabe erneut diskutiert werden sollte. Andererseits setzt die bisherige Tarifstruktur durch die Aufteilung in Arbeits- und Leistungspreis Anreize zu einer Vergleichmäßigung der Energienachfrage insbesondere bei mittleren und großen Abnehmern. Sie ist daher gut einer grundlastbasierten Erzeugungsstruktur angepasst. In einem überwiegend auf volatilen Energieträgern beruhenden Energiesystem muss die Tarifstruktur neue Anreize schaffen, die Energienachfrage in Zeiten großen Energieangebots zu verschieben.

4. Es gibt genug Flexibilitätsoptionen

Die zukünftige Stromversorgung in Deutschland wird im Wesentlichen durch Windkraft und Photovoltaik bestimmt werden. Die beiden Energieträger weisen eine gute saisonale Passfähigkeit auf, so dass der sich aus dem volatilen Angebot ergebende Speicherhorizont im Tages- bzw. Wochenbereich liegen wird. Darüber hinaus gibt es zahlreiche Flexibilitätsoptionen, die den Speicherbedarf reduzieren können. Ein Teil davon kann durch energieangebotsbezogene Tarife erschlossen werden.

Eine bisher kaum erschlossene Flexibilitätsoption stellt die Verbindung von Verkehrs- und Stromsektor dar. Sie ermöglicht die Mobilisierung großer, dezentraler Speicherkapazitäten. Diese können über einen Zeitraum von bis zu mehreren Tagen eine Entkopplung von Erzeugung und Verbrauch bewirken. Sie basieren entweder auf einer direkten Speicherung von elektrischer Energie in Batterien oder auf indirekten Speicherverfahren wie der Wasserstofferzeugung oder der Methanisierung. Auch für Speicherverfahren im Verkehrssektor gilt, dass die exergetische Qualität der Energie weitgehend erhalten bleiben sollte.

5. Es ist genug Zeit

Wenngleich das Zeitfenster für einen Umbau unseres Energiesystems beschränkt ist, müssen nicht schon heute alle Fragen einer Energieversorgung des Jahres 2050 geklärt sein. Dies betrifft insbesondere große Infrastrukturinvestitionen in Netze und Speicher. Solange jedoch keine Veränderung des Strommarktdesigns erfolgt ist, wird die Einspeisung erneuerbarer Energien weiterhin einer festgesetzten Einspeisevergütung bedürfen. Dabei sind zukünftig jedoch alle Kosteneffizienzpotenziale auszuschöpfen, d.h. auf eine erhöhte Förderung vergleichsweise teurer Kleinanlagen oder schlechter Standorte ist zu verzichten.

6. Die strategische Weiterentwicklung des Energiesystems muss (auch) ein volkswirtschaftliches Kostenoptimum zum Ziel haben

Die bisher verfolgten Ansätze zum Umbau des Energiesystems haben große Mengen privaten Kapitals mobilisiert und einen schnell wachsenden Anteil erneuerbarer Energien in das Stromnetz integriert. Für die Zukunft sollte insbesondere den Aspekten der Kosteneffizienz und der Energieeffizienz verstärkte Aufmerksamkeit geschenkt werden. Das Fehlen einer detaillierten und technologisch untersetzten Roadmap für den weiteren Ausbau der erneuerbaren Energien in Deutschland führt derzeit zu Investitionsunsicherheit bzw. lokalen Optimierungsstrategien mit letztlich höheren volkswirtschaftlichen Kosten. Eine klimaneutrale, bezahlbare und damit soziale Energieversorgung ist Teil der staatlichen Daseinsvorsorge. Öffentliche Institutionen müssen jedoch durch eine zentrale Planung und Steuerung für das volkswirtschaftliche Kostenoptimum sorgen.